Die Geothermie wurde bislang völlig unterschätzt - BVEG
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Nachrichten | 14. Oktober 2021

#Geothermie

Die Geothermie wurde bislang völlig unterschätzt

Im Jahr 2016 wurde aus dem Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG) der Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG). Dank der thematischen Öffnung befasst sich der Verband heute auch mit Fragen der Tiefengeothermie. energate sprach darüber mit Hauptgeschäftsführer Ludwig Möhring.

energate: Herr Möhring, wie ist die Geothermie heute bei Ihnen verortet?

Möhring: Im Zusammenhang mit der Geothermie ist zu sehen, dass wir diesbezüglich in erster Linie ein technischer Verband sind und uns vorrangig mit Themen befassen, die mit Bohren im Untergrund zu tun haben. Wir haben zum Beispiel vor einigen Monaten einen neuen „Leitfaden Bohrungsintegrität“ herausgeben, den wir bezogen auf die Geothermie aktualisiert haben, um diese Aktivitäten angemessen zu berücksichtigen. Unser Fokus bei der Geothermie liegt übrigens nur konsequent bei der Tiefengeothermie ab etwa 400 Meter.

Natürlich positionieren wir uns darüber hinaus auch in energiepolitischen Fragen, und wir unterstützen im politischen Raum die Rolle insbesondere der Tiefengeothermie. Politisch gesehen steht hinter dem „G“ auch die Notwendigkeit, die Vielfalt der Potenziale aufzuzeigen, die Tiefbohrungen bei der Entwicklung der modernen klimaneutralen Energielandschaft eröffnen. Da geht es natürlich um Erdöl und Erdgas in ihrer Rolle als „Transition Fuel“ und Rohstoff, da geht es aber auch um Energiespeicherung bis hin zu Wasserstoff, und bei der Geothermie um eine erneuerbare Energie, die CO2-frei ist und deren Potenzial nicht mal annähernd ausgeschöpft wird. Ich habe den Eindruck, dass die Vorteile der Geothermie bislang völlig unterschätzt wurden und sich erst langsam in der Politik die Erkenntnis durchsetzt, welche Rolle die Geothermie spielen kann.

energate: Wie kann ich denn als Unternehmen, das neu in die Nutzung der Geothermie einsteigen will, von einem „Leitfaden Bohrungsintegrität“ profitieren?

Möhring: Wenn Stadtwerke in die Technologie neu einsteigen wollen, weil sie zum Beispiel Geothermie für die Fernwärmeversorgung nutzen möchten, bietet der Leitfaden eine praxisorientierte Grundlage für technisch sichere Bohrprojekte. Dieses Regelwerk gilt im Übrigen auch für die Öl- und Gasindustrie als Best Practice und wird regelmäßig überarbeitet. Dies ist auch kein Selbstzweck, sondern ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Geothermie ist der sichere und umweltverträgliche Betrieb der Anlagen, angefangen mit den erforderlichen Tiefbohrungen. Da geht es der Geothermie nicht anders als der Öl- und Gasindustrie oder der chemischen Industrie. Sicherheit steht ganz oben.

© Shutterstock

Dass sich die Industrie hier technisch auf dem letzten Stand hält, hilft auch den zuständigen Aufsichtsbehörden bei ihrer Arbeit. So lassen sich schlechte Erfahrungen bei der Durchführung von Geothermiebohrungen vermeiden. Der BVEG liefert jahrzehntelanges Wissen im Umgang mit Tiefbohrungen und hat Zugriff auf internationales Know-how. Das ist für die Entwicklung der Tiefengeothermie ein echtes Pfund, zumal auch viele Bohrkontraktoren, die von den Geothermiunternehmen eingesetzt werden, bei uns Mitglied sind.

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energate: Das Land Niedersachsen und das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) machen sich derzeit sehr für die Geothermie stark…

Möhring: Ja, das Engagement des LBEG und der Landesregierung freut mich grundsätzlich sehr, auch wenn wir uns natürlich mehr Entschlossenheit wünschen würden. Wir kommen mit der Energiewende jetzt dahin, dass wir messbare Ziele für die CO2-Einsparung in der Wärmeversorgung bekommen. Das Klimaschutzgesetz definiert harte Konsequenzen, wenn sie nicht erreicht werden. Im Wärmemarkt muss zwischen 2020 und 2025 knapp ein Viertel der CO2-Emissionen eingespart werden. Ich denke, es wird sich schnell zeigen, dass Solardächer und Wärmepumpen allein hier nicht ausreichen werden. Wir werden im Wärmemarkt alle realistischen und technisch machbaren Optionen nutzen müssen, erst recht wenn es um erneuerbare Wärme geht. Hier gibt es mit der Geothermie eine Möglichkeit, mit permanent zur Verfügung stehender erneuerbarer Energie Wärme zu erzeugen. Dass sich die Politik in Niedersachsen hier auf den Weg macht, ist ein wichtiger Schritt. Schauen wir in diesem Zusammenhang nach Bayern, wo vielfältige Projekte vom Freistaat gefördert werden, sehen wir, dass noch Luft nach oben ist.

energate: Wie schätzen Sie denn das Potenzial der Geothermie ein?

Möhring: Es gibt zum Beispiel Potenzial in der norddeutschen Tiefebene, aber auch in Nordrhein-Westfalen und im Oberrheingraben. Nicht zuletzt gibt es hervorragende Bereiche im Molassebecken in Süddeutschland. Das Umweltbundesamt hat vor einiger Zeit gesagt, dass bundesweit bis zu 100 TWh Geothermiebedarf im Jahr vorstellbar seien. Heute sind wir bei knapp 1,5 TWh. Sehr wahrscheinlich sind nicht die ganzen 100 TWh wirtschaftlich umsetzbar. Deshalb müssen wir zunächst technologieoffen prüfen, wo es aussichtsreiche Projekte gibt.

Es geht darum, ganz neue Wertschöpfungsketten mit einer Reihe von technischen und kommerziellen Fragestellungen zu etablieren. Da gibt es Umsetzungsrisiken und eine verständliche Zurückhaltung der Unternehmen. Das ist die Stunde der Politik, neue Technologien in den Markt zu bringen und flankierend einzugreifen. Schauen Sie auf Wasserstoff: Dort ist die Notwendigkeit staatlicher Steuerung eindrucksvoll erkannt. Bei der Geothermie würde mir die Hälfte dieses Spirits völlig ausreichen. Immerhin hat sich die Politik jetzt auf den Weg gemacht und die Geothermie mit dem Entwurf für eine überarbeitete Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW) adressiert.
Neben der Subventionierung gibt es aber noch einen anderen zentralen Aspekt: Es ist ungleich schwieriger, den Wärmemarkt umzubauen als den Strommarkt. Deshalb brauchen wir dringend ein klares Bekenntnis der Politik, die sagt: Wir wollen, dass eine Technologie wie Geothermie in Deutschland eingesetzt wird!

energate: Sie sagen, man muss ganz neue Wertschöpfungsketten etablieren. Wo steht denn in diesem Zusammenhang die Möglichkeit der Nachnutzung existierender Bohrungen?

© BVEG/Dirk Meußling

Möhring: Das ist volkswirtschaftlich eine kluge Lösung und hat den Vorteil, dass man in einer bekannten Geologie arbeitet und in einem existierenden Investment. Wir diskutieren das zurzeit ja auch in anderen technischen Zusammenhängen, etwa bei der Nutzung bestehender Erdgasinfrastruktur für Wasserstoff. Mit der gleichen Logik kann man auch an die Geothermie herangehen und bestehende Öl- und Gasbohrungen nutzen, um die Wärme aus dem Untergrund nutzbar zu machen. Wir haben in Niedersachsen eine Reihe von Projekten auf den Weg gebracht, die sich aber noch in der Entwicklungsphase befinden.

energate: Sie arbeiten in Niedersachsen auch mit dem Wirtschaftsministerium und dem LBEG im Geothermieforum zusammen. Worum geht es dabei?

Möhring: Das sind regelmäßige Treffen, bei denen es letzten Endes darum geht, Informationen auszutauschen – ein wichtiger erster Schritt, um die Player der Geothermie zusammenzubringen. Für ein erfolgreiches Geothermieprojekt benötigen Sie zunächst einmal Informationen über die Geologie. Die erhalten Sie in der Regel über seismische Untersuchungen und insbesondere Bohrungen. Dank der Öl- und Gasförderung mit heute noch rund 2.000 aktiven Bohrungen sind solche Untersuchungen in vielen Bereichen gar nicht mehr nötig. Wir haben schon eine hohe Abdeckung an geologischen Informationen. Hier gilt es, für Transparenz zu sorgen.

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energate: Reicht Transparenz allein aus, um das Potenzial der Geothermie zu entwickeln oder braucht es noch besondere Anreize?

Möhring: Wir brauchen vor allem das klare Bekenntnis der Politik. Und wir werden bei dieser noch jungen Industrie auch nicht um Subventionen herumkommen. Ich glaube aber nicht, dass der Staat zwingend auch bei der Absicherung der technischen Risiken einspringen muss, wenngleich man da je nach Fall auch anderer Meinung sein kann. Es handelt sich immer noch um eine unternehmerische Tätigkeit, aber es ist sicher sinnvoll, das Fündigkeitsrisiko über Dritte versichern zu lassen. Und vor allen Dingen brauchen wir für Projekte die Unterstützung der Politik vor Ort, um für die nötige Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern zu sorgen.

energate: Welchen Wunsch hätten Sie an eine neue Bundesregierung?

Möhring: Bei der Energietransformation haben wir jetzt klare Ziele für die einzelnen Verbrauchssektoren. Und ich erwarte von der Politik, dass sie jetzt konkrete Umsetzungsvorschläge macht. Wenn wir die Ziele erreichen wollen, müssen wir alle technisch und kommerziell sinnvollen Möglichkeiten nutzen. Wir brauchen eine wirkliche Technologieoffenheit, auch wenn es um Nutzung von erneuerbaren Energien geht: Erneuerbare Energien sind nicht nur Wind und Sonne, wie dieses Gespräch sehr deutlich macht.

Die Fragen stellte Thorsten Czechanowsky
zuerst veröffentlicht im energate-messenger.de

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Leiterin Kommunikation & Pressesprecherin
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